#industrie40: zentral oder dezentral?

Im Zusammenhang mit Industrie 4.0 stolpere ich immer wieder über das Wort Dezentralisierung. Keine zentrale Produktionssoftware sei mehr für die Planung und Steuerung der Produktionsprozesse zuständig; diese werde “beispielsweise von den Werkstücken selbst übernommen” (aus dem Zukunftsbild Industrie 4.0, das im Auftrag des BMBF erstellt wurde).

Ich habe aus Neugier eine nicht repräsentative Umfrage gestartet:

Die 30 Teilnehmenden tendieren in dieselbe Richtung. Auch aus den Reaktionen auf diesen Tweet entnehme ich, dass beim Begriff Steuerung vornehmlich an die Ansteuerung der Maschine gedacht wird, das Auslösen des nächsten Arbeitsschritts. Das deckt sich mit den Ausführungen im Zukunftsbild Industrie 4.0:

“Die einst dominante Logik in der Produktion ist mit der Dezentralisierung der Produktions-steuerung auf den Kopf gestellt worden: Noch vor 20 Jahren wurden Produktionsprozesse über eine zentrale Produktionssoftware geplant und gesteuert. Die Produktionsleiter mussten die Fertigungsvorgaben in das System eingeben, das anschließend den Maschinen die jeweiligen Steuerungsbefehle erteilte. Dieses zentralisierte System war unflexibel.”

Ich sehe nicht sofort, wie Flexibilität entsteht, nur weil Werkstücke ihre Maschinen selbst ansteuern; aber vielleicht habe ich zu wenig Fantasie. Viel wichtiger ist mir aber der Aspekt der Planung: wer entscheidet denn jetzt, in welcher Reihenfolge welche Werkstücke von welchen Maschinen bearbeitet werden? Wohin sollen diese bei Störungen ausweichen? Soll etwa auch die Planung dezentral erfolgen? Ich mache mich auf die Suche:
  • “Kommt ein Mitarbeiter in Verzug, erkennt die Anlage die Abweichung vom ursprünglichen Plan und verändert die Abläufe.” (Quelle)
  •  Das Ziel ist die autarke Produktion: Die Maschine bestellt selbst den Nachschub aus dem Lager.” (Quelle)
  • Solche Anlagen […] werden heute aber immer noch zentral gesteuert. Mit dem Wandel zu Industrie 4.0 wird es in den nächsten Jahren darauf ankommen, die Systeme auf dezentrale Lösungen umzustellen. (Quelle)

 

Ich verstehe immer noch nicht, wer eigentlich wie plant, aber zumindest ist die Absage an eine zentrale Instanz deutlich. Was könnten die Gründe hierfür sein? Eine individualisierte Produktion und eine höhere Variantenvielfalt wird die Planungs- und Handlungsspielräume nicht kleiner, sondern unfassbar viel größer machen. Um diesem Komplexitätssprung zu begegnen, braucht es wohl Ordnung im Denken, Modularisierung, Aufteilung in beherrschbare Komponenten. Als Synomym für “dezentral” findet man daher auch “selbstorganisiert”, das klingt zumindest so, als müsste ich mich nicht mehr darum kümmern. Irgendwie beruhigend.

Aber ist das auch schlau? Zwei Analogien.

Patienten in einem Krankenhaus durchlaufen nicht selten mehrere Leistungsstellen (Radiologie, Kardiologie, etc.) nacheinander. Die Leistungsstellen (“Maschinen”) koordinieren nur jeweils ihre Termine mit den Patienten (“Werkstücken”), nicht aber untereinander (also “dezentral”). Lange Wartezeiten (weil man Sie auf Vorrat einbestellt) und häufige Terminverlegungen (weil z.B. Vorbereitungen einer Untersuchung mangels Abstimmung noch nicht erledigt waren) sind die Folge. Dass die Maschinen vernetzt sind (die Stationen können nämlich miteinander telefonieren), kann die Gründe des Übels nicht beseitigen: Eine zentrale Terminvergabe müsste her, die die Behandlungsabfolgen aller Patienten und die Verfügbarkeiten aller Ressourcen, inklusive aktueller Störungen gleichzeitig im Blick hat und entsprechend zentral koordinierte Vorschläge macht. Glauben Sie nicht, dass es so etwas gibt? Ich werde in einem der kommenden Posts zu unserer angewandten Forschung darüber berichten.

Navigationsgeräte sind zu unverzichtbaren Helfern geworden. Individuell (“dezentral geplant”) fahren alle Fahrzeuge (“Werkstücke”) auf einer jeweils schnellsten Route. Und alle fahren in denselben Stau (“Maschinenausfall”). Die “sich selbst organisierenden” Autofahrenden weichen alle auf dieselbe, naheliegende Umgehungsstrecke aus. Eine Berücksichtigung der aktuellen Verkehrslage (das ist zentral bekannte Information!) mit Vorschlag von Alternativrouten kann das verhindern (und tut es heute auch). Man kann aber noch viel weiter gehen, und jedem Fahrzeug eine individuelle Route vorschlagen, zentral geplant, unter Berücksichtigung aller Start- und Zielorte, aktueller Straßenauslastungen und Fahrzeuggeschwindigkeiten. Manche müssen dafür weiter fahren als andere (was Werkstücke im Gegensatz zu Autofahrenden in Kauf nehmen würden), in Summe kommen aber alle am schnellsten ans Ziel. Klingt zu fantastisch? Das haben meine Kollegen an der TU Berlin schon vor 20 Jahren erforscht.

Machen Sie sich Ihren eigenen Reim darauf, aber ich kann nicht nachvollziehen, wie man vor dem Hintergrund einer immer komplexeren Welt den Königsweg in immer einfacheren Lösungen suchen sollte. Umso weniger, als dass Informatik und Mathematik hier Konzepte für die Beherrschung der Komplexität der Planung 4.0 bereit halten.

Fazit: ich habe den Begriff der Dezentralisierung nicht verstanden oder er ist im Zusammenhang mit der Produktion von morgen schlicht und ergreifend Unsinn.

Für den nicht unwahrscheinlichen ersten Fall bin ich um Aufklärung sehr, sehr dankbar!

 

 

16 thoughts on “#industrie40: zentral oder dezentral?

  1. Hallo Marco,

    über den gleichen Punkt bin ich auch schon gestolpert. Ich denke, es ist schlichtweg Wunschdenken, dass eine rein dezentrale Prozesssteuerung zu einer Art Schwarmintelligenz führt, die eine zentrale Steuerung verbessert.

    Ich stimme aber zu, dass eine rein zentrale Steuerung aus praktischer Sicht durchaus ihre Nachteile hat:

    – Zum einen wird durch die Entwicklung hin zu mehr Individualisierung und Losgrößen von 1 das von der Zentralsteuerung zu lösende Problem immer komplexer…benötigt also immer leistungsstärkere mathematische Methoden und Rechenleistung. Und diese Methoden müssen sich in der Praxis erst einmal etablieren.

    – Zum anderen, und hier sehe ich das größere Problem, muss in der Praxis schnell auf auftretende Probleme/Fehler bei der Durchführung der (zentral) geplanten Prozesse reagiert werden können. In Echtzeit! Dies alles über eine zentrale Stelle laufen zu lassen würde diese zum einen sicherlich überlasten…und zum anderen könnte es ja durchaus auch sein, dass nicht durchgängig eine Verbindung zur zentralen Planungsstelle besteht. Teilsysteme müssen also autark lokal sinnvoll reagieren können, um den laufenden Betrieb in Echtzeit aufrecht zu erhalten.

    Bezogen auf Dein (pädagogisch top-gewähltes) Navi-Beispiel hier meine Sicht, was mit Dezentralisierung gemeint sein könnte/sollte:

    Die Routen/Prozesse sollten zentral geplant und in gewissem Rahmen auch zentral reoptimiert werden, um einen möglichst guten Gesamtfluss zu erreichen. Diese Routen/Prozesse müssen aber wenn nötig lokal (und damit parallel) von den einzelnen Teilsystemen in Echtzeit an die realen Bedingungen angepasst werden können, um den (Produktions-) Fluss aufrecht zu erhalten. Es ist nunmal keine praktisch akzeptable Lösung, solange auf dem Autobahn-Standstreifen zu parken, bis man wieder Verbindung zur Cloud hat. Man muss da flexibel reagieren können, auch wenn das für die Gesamtlösung nicht optimal sein sollte. In meinen Augen muss/sollte das Ziel einer dezentralen Lösung also der Mix aus einer zentralen Planung nebst lokaler (Neu-) Planungskompetenz sein.

    In diesem Sinne: Allzeit staufreie Fahrt!

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    1. Hallo Raymond, ganz großartig! Vielen Dank, dass Du meine Überspitzung zu einer differenzierten Darstellung verknetest. Deinen “Kompromiss”vorschlag zwischen zentral/dentral finde ich sehr sinnvoll, und ich halte das sogar für mathematisch/algorithmisch spannend (von der Praxis ganz zu schweigen). Viele Grüße aus Aachen!

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  2. Hi Marco,
    Schön, dass ihr euch auch diesem Thema widmet.

    Ich sehe die Initiativen als add-on zu einer vorher durchgeführten Planung (optimierung). Es wäre doch genial, wenn wir einen optimierten Produktionsplan erstellen und den einzelnen Maschinen, Tanks, Werkzeugen, etc auch noch Intelligenz mitgeben, z.b. in welchem Rahmen sie von den planwerten abweichen dürfen, ohne eine optimallösung abzuschneiden. Die operative steuerung erfolgt dezentral, aber die logik muss von einem zentralen “planer” kommen, da stimme ich dir zu.

    Planung geschieht unter Unsicherheit und ein optimierter geplanter schedule wird selten so realisiert. Operativ kann man bei Störungen nicht warten, bis ein neues Optimum berechnet ist. Drum müssen die einzelnen Anlagen selber entscheiden, inwiefern sie sich selbst regulieren dürfen und ab wann sie eine Meldung rausschicken müssen: “Optimum in Gefahr, bitte reoptimieren”. z.b. Online-optimierung oder simple re-optimierung wird durch diese neue steuerungsmöglichkeit je Anlage auch praktisch möglich, Zunächst lokale (dezentral) und wenn nötig globale reoptimierung.

    Da denke ich an eure optimierung des nord-ostsee-Kanal-verkehrs. Die Schiffe erhalten ihre durchfahrt in optimierter Reihenfolge, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass sie nicht das beschleunigungsverhalten eures mathematischen Modells aufweisen. Wenn Schiffe zu stark vom Plan abweichen, informieren sie die entgegenkommenden Schiffe und optimieren sich lokal selbst. Sie sind vernetzt und kennen ihre targets sowie die der anderen wenn benötigt.
    Ähnlich kann man auch dein Patienten und navi Beispiel in diesem industrie4.0 set-up interpretieren.

    Die Aufgabe an die Forschung in der mathematischen optimierung:
    entwickelt Algorithmen, die robuste Lösungen generieren. Nicht neu die Idee ☺
    Vielleicht kann man neue Maße/Definitionen der Robustheit entwickeln, die auch in der Praxis tauglich sind (verzeih diesen Nebensatz, ich warte auf deinen Artikel aus dem patientenbeispiel)
    Online-optimierung liegt auf der Hand (mit look aheads), jede Maschine kennt sich, steuert/optimiert sich und erhält Zielvorgaben, die einzuhalten sind, um das globale Optimum nicht zu gefährden.
    Oder lernende planungs-Algorithmen, die nach einem Jahr self-Training am Zusammenspiel Planung und operative Realität robustere Lösungen generieren, damit weniger lokale Anpassungen erfolgen müssen.

    Viel Erfolg! ☺

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    1. Hi Jens,

      ich finde deine Idee mit der Zielvorgabe für Maschinen, die sie für ein globales Optimum einhalten muss, sehr spannend. Ich würde das gerne in meine Masterarbeit aufnehmen. Hast du das in einem Paper, Buch etc. gelesen?

      Vielen Dank und Grüße:)
      Sarina

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      1. Hi Sarina,
        nein, kein Buch oder paper. Wir diskutieren dieses Thema in unserem OR-Team auch intensiv und fragen uns, was die spannenden algorithmischen Fragestellungen sind, die sich dahinter verbergen. Aber du wirst bestimmt auch in papern oder so fündig, wenn du ein Zitat benötigst.

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  3. Ich bin kein Optimierungsexperte, aber mein Verständnis von Dezentralisierung im Sinne einer Schwarmintelligenz ist, dass die einzelnen Teile selbst entscheiden, sich aber untereinander abstimmen. Im Beispiel Routenplanung würden die Fahrzeuge miteinander kommunizieren und somit ein globales Ganzes unabhängig von einer zentralen Instanz abstimmen. Wie das algorithmisch gelöst werden kann, weiß ich nicht. Vielleicht ist zur Vereinfachung eine zentrale Übersicht hilfreich.

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    1. “Sich untereinander abstimmen” werden die Fahrzeuge sicher können. Wie ein Schwarm sollten sie sich dabei vielleicht nicht verhalten, jedenfalls nicht wie ein Vogel- oder Fischschwarm (da machen alle dasselbe, was der Nachbar macht). Wie auch in den interessanten Kommentaren oben wird es wohl darauf hinauslaufen, dass zentral “vorgeplant” wird, um “unter normalen Umständen” bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Die normalen Umstände werden aber nie eintreten. Nun kann man die zentralen Pläne so “robust” auslegen, dass die Störungen wenig Auswirkungen haben, da gibt es aber noch wenig praktisch Verwertbares (wie Jens oben schreibt). Mir schwebt daher eher so etwas vor: jedes Fahrzeug bekommt keine individuelle Route, sondern einen kleinen, schnellen, individuellen Algorithmus mit, der unter den “dezentral beobachteten Umständen” die Fortsetzung der Route berechnet. Dabei werden lokal immer auch Fehler passieren, das ist nicht zu vermeiden, aber wenn die Gesamtmenge der vielen, kleinen Algorithmen “gut” gewählt ist, dann entsteht hoffentlich etwas (viel) besseres, als wenn jeder nur auf das Verhalten des Nachbarn schaut.

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      1. Marco,

        mit Deinem Vorschlag beschreibst Du aber doch auch ein Auto-Navi…die Route wird je Auto anhand der lokalen Gegebenheiten ständig neu berechnet und notfalls angepasst…und damit der Stau von der Autobahn auf die Ausweichrouten verlegt…ein wenig komplexer/zentraler muss der Algorithmus also schon unterstützt sein. (Die Entstehung von Staus auf Autobahnen lassen sich angeblich durch Ampeln an Autobahnauffahrten reduzieren, die die Zufahrt bei zu starkem Verkehr sperren/regulieren…vielleicht muss also nicht die Planung des Flusses, sondern der Prozess ansich anders angegangen/organisiert werden, um einen besseren Prozessfluss zu garantieren…)

        Prinzipiell sehe ich auch nicht, warum man eine zentrale Planung auf Teufel komm raus loswerden möchte. Diese wird zwar immer komplexer, aber sie hat auch die beste Übersicht. Nur so sind meiner Meinung nach vernetzte Systeme optimal zu planen. Allerdings müssen die Teile auch autark und in Echtzeit funktionieren können…alleine schon der Stabilität wegen…ich sehe also die Zukunft im Mix…zentral+lokal.

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      2. Bei Deinem Fazit (Mix global/lokal) sind wir uns einig, der Mix selbst muss wohl auch flexibel sein, wenn die Möglichkeit gegeben ist, wird globale Information verwendet; und sonst lokal nachgesteuert.

        Bei Navis ist mein Vorschlag von oben allerdings noch nicht umgesetzt. Ich dachte an individuelle Algorithmen, die in ihrer Gesamtheit so gemacht sind, dass sie in Störungsfällen immer noch global schnelle Routen berechnen. Die individuellen Algorithmen wurden also koordiniert so erstellt, dass sie – wenn sie dann jeweils lokal entscheiden müssen – weniger Staus produzieren. Vielleicht hilft hier die Spieltheorie?

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  4. Ein generelles Problem bei einer zentralen Lösung liegt meines Erachtens auch in der Definition des zu steuernden Systems.
    Welches System will man optimieren? Das der einzelnen Produktionsstrasse, das des Werkes? Das des Zulieferverbundes?
    Heutige Logistikketten sind durch Optimierungen, die bis hin zu einer just in sequence Anlieferung im Werk gehen, sehr eng miteinander verbunden.

    Auf das Krankenhausbeispiel übertragen: Ihr habt damit ein “Produktionswerk” optimiert. Wäre es nicht auch sinnvoll, schon Zuweiserärzte mit einzubinden, damit diese ihre Patienten an das “richtige” Krankenhaus überweisen? Oder die Rehas, die die Patienten nachher übernehmen?

    Generell wird die Antwort hier (und auch bei Produktionswerken) heißen, dass das maximale zentral steuerbare System das ist, was einem Eigentümer auch gehört. Sobald mehrere Eigentümer eine Rolle spielen, ist oft ein Zielkonflikt vorprogrammiert, da des einen Einsparung oft für den anderen eine Mehrausgabe bedeuten wird.

    Aus meiner Sicht ergibt sich daher ganz natürlich ab einer bestimmten Flughöhe immer ein kollaborativ/dezentral zu lösendes Optimierungsproblem.
    Wenn man nun mit diesem Gedanken wieder in das Problem hineingeht fängt man an abzuwägen, welche Vor- und Nachteile eine Zentralisierung bieten könnte und ab welcher Granularität diese einen Sinn macht.

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    1. (danke; schön mal wieder vor Dir zu lesen) Die Frage nach den Systemgrenzen stellt sich, das stimmt. Aber auch heute wird, ggf. über verschiedene Eigentümer hinweg, entlang einer ganzen Lieferkette optimiert. Evtl. kann das bedeuten, dass es Verlierer gibt, die “nur wegen des Gesamtwohls” mitmachen, und die dann von den Profiteuren entschädigt werden. Je größer das zu planende/optimierende System, desto größer das Potenzial, aber natürlich auch: desto größer die Zerbrechlichkeit der Lösung. Ich denke, und das lese ich aus den obigen Kommentaren auch heraus, dass sich an der Durchführbarkeit/Robustheit/Echtzeitfähigkeit festmachen wird, welche Entscheidungen zentral und welche dezentral zu treffen sind.

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  5. Lieber Marco,
    danke für deine zielführende Fragestellung.
    Ich würde gern noch den Aspekt der Redundanz und Resilienz anführen. In der angestrebten IOT-Welt wächst die Komplexität und auch die Störanfälligkeit solcher Systeme. Dezentralität und Redundanz sind in diesem Kontext auch als Elemente einer Riskiominimierung für verletzliche Infrastrukturen (technisch und sozial) zu verstehen. Wenn ein Bauteil in den global-vernetzten Automobilproduktionsprezessen nicht mehr geliefert werden kann, sind als Folge von Fukushima redundante, dezentral verteilte alternative Fertigungsoptionen entstanden. Im Energiesektor minimieren z. B. Energiegenossenschaften die Abhängigkeit von zentralen Trassen der grossen Versorger. Weiterhin fördern sie Selbstverantwortung (Strom kommt doch aus der Steckdose) und Selbstorganisation vor Ort und erhöhen damit auch die oft beklagte fehlende Akzeptanz für die Energiewende. Dezentralität ist insofern durchaus auch als ein politisches Konzept zu interpretieren. Wie immer sind Konzepte nicht starr oder absolut durchzusetzen, dass zeigt sich auch beim Thema Energie. Dezentrale Erzeugung erfordert m.E. die Einbindung in ein letztlich globales Netz aller Energieerzeuger und -verbraucher, um Senken, Störfälle, Überschüsse im Verbund auszugleichen.
    Genau, es ist der Mix.
    Ich schätze den dezentralen Ansatz deshalb, weil er auf Partizipation beruht, Vielfalt ermöglicht und damit auch einen Wettwerb guter Ideen befördert… Auf der anderen Seite benötigen wir auch ein systemischen Gesamtverständnis und die Zentralität gerade dort, wo “Kleinstaaterei” den freien Blick verwehrt…
    Freue mich auf Deine Antwort
    Klaus

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  6. Sehr interessanter Blog.

    Dezentral ist aus meiner Sicht ein falscher Term hier. Eigentlich müsste es aus meiner Sicht “Feedback” angesteuert heißen.
    Wenn z. B ein Navigationssystem gleichzeitig noch mit aktuellen Verkehrsdaten (Feedback) gefüttert wird, so kann es eben gerade nicht alle in den gleichen Stau fahren lassen. Nehmen wir dann noch eine weiteres Feedback hinzu: “Wie viele Autofahrer hat ein anderes Navi schon auf diese Strecke geleitet? Und wie viele von denen folgen der Empfehlung” dann wird langsam ein Schuh draus.
    Für mich persönlich ist mit dem Begriff Industrie 4.0 ein datenbasiertes Feedbackmodell verbunden, welches dann teilweise automatisiert Prozesse ansteuern kann. Das ist eigentlich nicht neu und in der IT bei Skalierungsautomation von virtuellen Umgebungen schon lange etabliert.

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    1. Vielen Dank. Ich hatte oft von Autonomie der Entscheidungen der Maschinen gehört, das klang nicht nach diesem Feedback, manchmal gerade sogar so, dass man sich von dieser (ich bleibe mal bei) zentral verfügbaren Information weg möchte. Dass wir vieles wieder entdecken, denke ich auch.

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  7. Klasse Post! Tatsächlich passiert ja auch genau das, was Sie beschreiben. Wir bekommen immer mehr Aufträge bei denen es darum geht, Sensorik aus der Ferne auswerten zu können. Überwachung, Diagnose, Fernwartung und predictive Maintenance sind die ersten Wünsche. Fernzugriff auf Steuerung ist ein heikles Thema, dass noch sehr zurückhaltend angegangen wird.

    Was aber dezentralisiert wird und aus unserer Sicht auch sollte, sind die datenverarbeitenden Systeme. Systeme für Machine Learning etc an den Produktionsstandorten oder in eigenen Rechenzentren zu betreiben, erscheint uns in den meisten Fällen wenig sinnvoll. Hierfür gibt es spezialisierte Cloud Service Anbieter. Für deutsche Unternehmen wegen möglicher Industriespionage und mangelndem Vertrauen in Sicherheit oft noch ein rotes Tuch. Für die Produktion der Zukunft jedoch unerlässlich. Der Schritt über Industrial IoT die Daten außerhalb der Anlagen (zumindest Unternehmensintern) verfügbar zu machen geht daher in die richtige Richtung.

    Dann können die Daten als das, durch andere Kommentare bereits erwähnte Feedback wieder der zentralen Steuerung zur Verfügung gestellt werden.

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